Kapelle an der Hengstetter Steige

Über viele Jahrhunderte ziehen sich die Berichte über eine Kapelle im Bereich der „Hengstetter Steige“.

Auf alten Abbildungen ist sie noch zu sehen, aber heute existiert sie nicht mehr.

Erfahren Sie hier mehr über die spannende Geschichte der Kapelle an der Hengstetter Steige.

Eine Kapelle außerhalb des Klosters

Im Bereich östlich des Klosterbezirks von St. Aurelius gibt es von der Gründungszeit Hirsaus im frühen Mittelalter bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Hinweise auf eine Kapelle oder Kirche knapp oberhalb der Mauer des Aureliusklosters. Auf die Frage, ob es sich durch alle Jahrhunderte immer um genau denselben Standort und um dasselbe Bauwerk mit wahrscheinlich verschiedenen Bauphasen handelt, kann bis heute keine abschließende Antwort gegeben werden.

In dem größeren Gründungsbericht des Hirsauer Klosters, den der Codex Hirsaugiensis liefert, wird berichtet, dass es vor Gründung des ersten Aurelius-Klosters um das Jahr 830 dort auf der Spitze eines vorspringenden Hügels bereits eine Kirche gab, die dem heiligen Nazarius geweiht war. Dieses Patrozinium legt eine Verbindung zum Kloster Lorsch nahe. Diese Kirche wird jedoch in Lorscher Dokumenten an keiner Stelle erwähnt. Die Annales Bertholdi berichten ebenfalls von einer ersten Gründung in Hirsau – in der Regierungszeit Pippins (714-768). Als Gründer nennt Berthold den Grafen Erlafrid, der in anderen Gründungsberichten über die Errichtung des ersten Aureliusklosters zusammen mit seinem Sohn, Bischof Noting von Vercelli, genannt wird. Ein Erlafrid ist in jener Zeit auch durch eine Schenkung in Gültstein im Jahr 769 an das Kloster Lorsch dokumentiert. Karl Greiner vermutet, dass diese Kirche die erste Pfarrkirche der umliegenden Weiler östlich wie westlich des Nagoldtals war. Trithemius bezeugt noch Anfang des 16. Jahrhunderts den Bestand der Kirche, während Martin Crusius gegen Ende des Jahrhunderts von einer „niedrigen Steinhütte, die infolge hohen Alters vollends eingefallen sei,“ berichtet.
Lange wurde vermutet, dass ein Plateau auf der nördlichen Seite oberhalb der Abzweigung der Hengstetter Steige der Standort dieser Kirche war. Diese Einschätzung wurde noch bestärkt, als in den 1930er Jahren das Fragment des Stifterbilds von St. Aurelius gefunden wurde, das ebenfalls eine Kirche auf einem Hügel oberhalb der Aureliuskirche zeigt. Allerdings wurde dieses Plateau mit dem vermuteten Standort 1872 beim Bau der Eisenbahn durchschnitten.Es wurden dort keinerlei Überreste gefunden, die darauf hinweisen, dass dort jemals ein Gebäude gestanden haben könnte. Lediglich eine Flurbezeichnung „beim Kapelle“ ist in jenem Bereich von Hirsau überliefert.

Spätere Bild- bzw. Textquellen berichten von einer Kirche an einer etwas tiefer gelegenen Stelle, nämlich direkt an der Kreuzung, wo die Hengstetter Steige auf die Straße nach Calw trifft.

Die Kapelle (rechts hinten)

Nach der Zerstörung des Klosters durch französische Truppen ließ der herzogliche Hof in den Jahren 1692/93 eine zeichnerische Dokumentation des Zustands der Brandruinen durch Johann Jakob Bock anfertigen. Dabei wurde sehr akribisch der gesamte Gebäudebestand in Hirsau beiderseits der Nagold dokumentiert. Am rechten Bildrand, knapp außerhalb des ummauerten Klosterbezirks von St. Aurelius, erscheint dort eine Kapelle mit Turm. Diese Kapelle lässt sich über mehrere Jahrhunderte hinweg auch in einigen Dokumenten belegenbeginnend mit dem Hirsauer Lagerbuch von 1699. In einem Hirsauer Kauf- und Steuerbuch ist zu lesen, dass 1784 ein Bauplatz „bei dem sogenannten Kapelle unterhalb der Hengstetter Staig“ für einen Hausbau verkauft wird. Dadurch ist der Standort der Kapelle noch einmal präzisiert worden.

Ein weiterer Eintrag aus dem Jahr 1799 bringt eine Überleitung bis in die Gegenwart. Das Gebäude wird an den Waldhornwirt Gottlob Schüz verkauft. Karl Greiner kommt folglich zu dem Schluss, dass der Zeichner des obigen Bildes die Kapelle an der richtigen Stelle eingezeichnet hat. Sie stand unmittelbar neben dem 1785 erbauten Wirtshaus, und zwar im rechten Winkel dazu, nach Osten ausgerichtet, entlang der Hengstetter Steige. Ihr Untergeschoss wurde später neu überbaut und in das Gasthaus einbezogen. Somit könnte auch geklärt sein, wo der Altar des heiligen Benedictus außerhalb des Klosters stand, von dessen Weihe Martin Crusius zum Jahr 1471 berichtet. Und noch ältere Aussagen könnten vielleicht auch durch diese Kapelle eingeordnet werden: sowohl der Hirsauer Codex wie auch später Trithemius berichten von einer Kirche „an der Wurzel des Hügels“ aus der Karolingerzeit, die bereits stand, als die Aureliusreliquien nach Hirsau gebracht wurden. Außerdem berichten Sie von einem Gewölbe unter der Kirche, in dem die Reliquien in der Zeit versteckt waren, als das erste Aureliuskloster aufgegeben war. Unter der heute bekannten Aureliuskirche gab es definitiv kein unterirdisches Gewölbe. Bekannt ist schließlich auch der Besuch Leos IX. bei seinem Neffen Adalbert II. von Calw, als nur mit großer Mühe das Gewölbe mit dem Reliquienschatz gefunden und ausgegraben werden konnte. Es ist außerdem leicht vorstellbar, dass das Kellergewölbe durch Hochwasser des Tälesbachs, der in seinem ursprünglichen Bett knapp an der südlichen Seite des Anwesens vorbeilief, des Öfteren überflutet wurde.

Über das Kellergewölbe selbst schreibt Karl Greiner, dass es Außenmaße von etwa fünf auf vierzehn Meter hatte, von Ost nach West ausgerichtet war, aus einem kleinsteinigen Verband erstellt wurde,und dass man es durch eine Rundbogentür Betrat.Sicherheit über das Alter des Bauwerks ließe sich nur über eine archäologische Untersuchung der Bauform erbringen.

Die Kapelle an der Hengstetter Steige (im Hintergrund rechts)

Wenn man die perspektivische Verwirrung des Stifterbilds von ca. 1480 außer acht lässt und sich an der Westfassade und der der Säulenvorhalle als Bezugspunkt für die Betrachtung orientiert, erscheint der Dachreiter oder Turm einer Kirche, der über der Fahne des Calwer Grafen zu sehen ist, ziemlich genau in der vermuteten Richtung der Kapelle unter der Hengstetter Steige zu liegen.

Kontakt

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